Montag endete die gerichtlich angeordnete Frist für die US-Regierung ihre geheimnisvolle Richtlinie, die es erlaubt einen “Kill Switch (Not-Ausschalter)“ für das Handy-Netz einzusetzen, zu erläutern. Die Richtlinie, die 2005 vom Department of Homeland Security (DHS) übernommen wurde, wird als Standard Operating Procedure 303 bezeichnet und ermöglicht
…for the orderly shut-down and restoration of wireless services during critical emergencies such as the threat of radio-activated improvised explosive devices.
(…das ordnungsgemäße Herunterfahren und Wiederherstellen von Funk-Diensten in kritischen Notfällen, wie die Bedrohung durch per Funk aktivierte improvisierte Sprengsätze.)
Es erlaubt der US-Regierung Dienste “in einem begrenzten Bereich, wie zum Beispiel einen Tunnel oder eine Brücke, und innerhalb eines ganzen Stadtgebiets” abzuschalten. Die Richtlinie beruht auf einem undurchsichtigen, fragwürdigen Hintergrund.
Die Umsetzung der Richtlinie war eine Reaktion auf den Londoner U-Bahn-Bombenanschlag 2005 und wurde aufgrund der nationalen Sicherheit für notwendig erachtet. Im Jahr 2005 wurden alle Funk-Dienste im New Yorker Hudson Tunnel für zwei Wochen abgeschaltet – ein Schritt, der wie das DHS selbst einräumt
disorder for both Government and the private sector at a time when use of the communications infrastructure was most needed.
(zu einer Störung, sowohl für die Regierung als auch den privaten Sektor zu einer Zeit führte, als die Verwendung der Kommunikationsinfrastruktur am meisten gebraucht wurde.)
Aufgrund der Geheimhaltung der Richtlinie gibt es keine konkreten Unterlagen darüber, dass SOP 303 eingesetzt wurde, um das Handy-Netz abzuschalten. Im Jahr 2011 wurde jedoch die gesamte Handy- Kommunikation im San Francisco BART (Bay Area Rapid Transit, Schnellbahnnetz in San Francisco) heruntergefahren. Dies geschah, um Proteste gegen einen gewalttätigen Polizisten, der einen obdachlosen Mann getötet hatte, zu vehindern. Im selben Jahr hat das Weiße Haus behauptet, dass die Regierung das Recht hat
control private communications systems in the United States during times of war or other national emergencies.
(private Kommunikationssysteme in den Vereinigten Staaten in Kriegszeiten oder wegen anderen nationalen Notfällen zu kontrollieren.)
In dem Bemühen, mehr über die Gründe für das Abschalten im Fall BART zu erfahren, reichte das Electronic Privacy Information Center (EPIC) im Juli des Jahres 2012 eine FOIA-Anfrage beim DHS ein. Das DHS behauptete, es könne nicht sämtliche Dokumente dazu finden, was EPIC veranlasste eine FOIA-Klage einzureichen. Ein Bundesgericht befand, dass das DHS der Bitte nicht ausreichend nachgekommen sei. Jedoch entschied im Februar 2015 eine nächsthöhere Gerichtsinstanz für das DHS und erklärte, dass
the [DHS] permissibly withheld much, if not all of SOP 303, because its release…could reasonably be expected to endanger individuals’ lives or physical safety…
(das [DHS] zulässigerweise vieles [der EPIC] vorenthalten darf, wenn nicht alles im Bezug auf SOP 303, da seine Veröffentlichung… begründbar das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen gefährde…)
Trotz der aggressiven Versuche der Bundesregierung diese Informationen geheim zu halten, reichte das EPIC eine Anfrage im letzten Monat ein, damit das Gericht seine Entscheidung überdenkt, mit dem Argument, dass “wenn [diese Entscheidung] bestehen bleibt, [es] eine unbegründete Befreiung im Namen der ‘nationalen Sicherheit’ schaffen würde”. Dieses Mal gab das Gericht der Regierung bis zu diesem Montag, 27. April 2015, Zeit, um die Details ihrer Richtlinie zu erklären, einschließlich unter welchen Bedingungen diese eingesetzt werden kann.
Alan Butler, ein Anwalt von EPIC, erklärte
We’re not asking for detailed information about how [SOP 303] works… but about the rationale and the policy guidelines.
(Wir bitten nicht um detailierte Informationen darüber wie [SOP 303] funktioniert… aber über die Gründe und die politischen Leitlinien.)
Der Druck in Richtung eines “Kill Switch” hat sich seit Jahren (zurückgehend auf Handys und das Internet) aufgebaut. Im Juli 2012 unterzeichnete Obama eine Executive Order, die es der Regierung ermöglicht “private Einrichtungen, wenn notwendig, zu nutzen, effektiv die zivile Kommunikation herunterzufahren oder zu begrenzen”. Im Jahr 2010 genehmigte ein Senatsausschuss für die “Innere Sicherheit” einen Kill Switch für das Internet. Im August 2014 unterzeichnete der kalifornische Gouverneur Jerry Brown ein Gesetz, wonach alle Smartphones, die nach dem Juli 2015 produziert werden, einen Kill Switch integriert haben müssen. Das Gesetz wurde dafür kritisiert, dass es sowohl den Strafverfolgungsbehörden als auch den Hackern gefährliche Manipulationsmöglichkeiten eröffnet.
Der Einsatz eines Kill Switches wurde auch wegen der Unfähigkeit Terroranschläge zu verhindern scharf kritisiert. Tatsächlich haben sich frühere Terroranschläge nicht auf Funk-Kommunikation gestützt, sondern nur auf dem Wecker in einem Telefon, der vom Einsatz eines Kill Switches unberührt bleiben würde.
Die Gefahren bei der Erteilung einer solchen breiten Eingriffsmöglichkeit für die Regierung scheinen nicht nur reichlich vorhanden zu sein, sie liegen auf der Hand. Wie anhand des 2011er BART-Beispiels zu sehen ist, ist der Staat mehr als bereit, die Kommunikation aus Gründen der nationalen Sicherheit zu demontieren. Die Macht, das Recht der Bürger auf Proteste gegen staatliches Handeln zu organisieren zu stören, ist eine gewissenloser Versuch die Bevölkerung zu kontrollieren und den Dissenz darüber abzuwürgen. Allein die Weigerung der Regierung ihr Vorgehen und diese Macht zu erklären, ist Grund genug, um ihr zu misstrauen.
So wie auch Howard Feld, Senior Vice President von Public Knowledge, einer öffentlichen Interessensgruppe, darauf hinwies,
Understanding a policy should not compromise national security.
(Eine Richtlinie zu verstehen sollte nicht die nationale Sicherheit gefährden.)
Das DHS widersprach hartnäckig. Als es aufgefordert wurde, die Entscheidung zu erklären, warum grundlegende Verfahrensinformationen des Programms der Öffentlichkeit vorenthalten werden, reagiert es nur mit
We have no comment on this.
(Wir geben dazu keinen Kommentar ab.)
Es gab übrigens – trotz Fristsetzung – keine Antwort der US-Regierung auf die gerichtliche Anordnung sich zu erklären.
(Teil-/Übersetzung des Artikels Federal Government Ordered to Explain Why it Needs a Cell Phone Kill Switch von Carey Wedler/Antimedia.org)
Anmerkungen www.konjunktion.info:
Eines dürfte klar sein. Ein Kill Switch, egal ob für das Handy-Netz oder für das Internet dient nur einem Zweck – und der hat mit dem selbstinszenierten Terrorismus überhaupt nichts zu tun. Es geht schlicht und einfach darum, etwaige Bürgerproteste und Demonstrationen, wie derzeit auch in Baltimore, zu verhindern. Der Arabische Frühling hat gezeigt, in wie weit das Netz zur Organisation von Protesten genutzt werden kann. Und da die USA selbst diese Proteste über ihre NGOs befördert haben, dürften sie auch hinter der damailgen Nutzung von Facebook und Co. zu Zwecken der Demonstrationsorganisation stecken und wissen welches Potenzial bzw. welche Gefahr damit verbunden ist.
Quellen:
Federal Government Ordered to Explain Why it Needs a Cell Phone Kill Switch
Court mulls revealing secret government plan to cut cell phone service
The Government Didn’t Shut Down Cell Service in Boston. But With SOP 303, It Could Have.
Termination of Cellular Networks During Emergency Situations
EPIC v. DHS – SOP 303
USCA Case #14-5013 Document #1544810
Obama administration fights for right to use cellphone kill switch
The Government’s Secret Plan to Shut Off Cellphones and the Internet, Explained
Internet ‘Kill Switch’ Approved By Senate Homeland Security Committee
How Cops and Hackers Could Abuse California’s New Phone Kill-Switch Law
Cellphone alarms were set to trigger Yemen package bombs, U.S. officials say