Der griechische Philosoph Heraklit gilt als Urbegründer des dialektischen Denkens, in dem er vor über 2.000 Jahren feststellte, “dass alles, was existiert, zugleich durch sein Gegenteil bedingt ist und es als solches in sich trägt”. Ihm folgte Platon, der die sogenannten dialektischen Dialoge formulierte: ein “kunstvolles Spiel mit Argumenten und Gegenargumenten, das am Ende zu einem höheren Erkenntnisgewinn führen soll”.
Platons Schüler Aristoteles wiederum gilt als Begründer der dialektischen Logik, die “den Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere (Deduktion) bzw. vom Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine (Induktion)” unterscheidet. Dessen Grundideen dienten dann Abaelard und Francis Bacon zur weiteren Ausarbeitung der Theorie von Deduktion und Induktion, auf die dann der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel aufsetzte und die uns allseits bekannte(re) Hegelsche Dialektik von These, Antithese und Synthese begründete.
Hegels Dialektik wird gerne mit der Theorie “Problem-Reaktion-Lösung” gleichgesetzt bzw. im Grunde genommen verwechselt, bei der man (eine Organisation, Gruppierung, Staat) ein Problem gezielt erschafft, um dann mit einer im Voraus geplanten und ausgearbeiteten Lösung als Retter aufzutreten, die ganz im Sinne der Problemerschaffer ist, um eine von den Massen erwünschte Reaktion zu befrieden.
Ähnlich verhält es sich aus meiner Sicht auch bei den nachfolgenden Themen, die zuvor gezielt erzeugt wurden, um dann mittels einer Reaktion (technische Lösung) das eigentlich gewollte und angedachte Ziel als Lösung den Massen zu präsentieren:
Großbritannien: Probleme beim IT-System der Einwanderungsbehörde
Nachdem Berichte aufgedeckt haben, dass mehr als 76.000 Menschen von Fehlern bei biografischen und biometrischen Daten in der Einwanderungsdatenbank der britischen Regierung betroffen sind, hat die Datenschutzaufsichtsbehörde des Landes eine Untersuchung der Arbeit des Innenministeriums eingeleitet.
Das Information Commissioner’s Office (ICO) wird “IT-Vorfälle” im Zusammenhang mit der vom Innenministerium betriebenen Person Centric Data Platform (PCDP) und Atlas, den von Einwanderungsbeamten und Grenzbehörden verwendeten Computerprogrammen, untersuchen, berichtet die Fachzeitschrift Public Technology. Beide Systeme sind Teil eines umfassenderen 500-Millionen-Pfund-Projekts zur Erneuerung des IT-Systems der Einwanderungsbehörde, genannt Immigration Platform Technologies (IPT).
Der Schritt erfolgte, nachdem ein Bericht des Guardian aufgedeckt hatte, dass “verschmolzene Identitäten (merged identities)” von zwei oder mehr Personen und Listen mit falschen Namen, Fotos oder Einwanderungsstatus dazu führten, dass einige Einwanderer nicht in der Lage waren, ihr Recht auf Arbeit, Anmietung einer Wohnung und Zugang zu staatlich finanzierter medizinischer Behandlung nachzuweisen.
“Das Vertrauen der Menschen in ein System hängt davon ab, dass sie sicher sein können, dass ihre Daten sicher und korrekt aufbewahrt werden (People’s trust in a system relies on them being sure their information is being kept securely and accurately)”, so ein ICO-Sprecher. “Die ICO untersucht diese Angelegenheit, nachdem das Innenministerium uns einen Bericht vorgelegt hat. (The ICO is investigating this issue, following a report to us by the Home Office.)”
Abgesehen von den Identitätsverwechslungen sind die Bemühungen des Vereinigten Königreichs um eine Überarbeitung seiner IT-Systeme für die Einwanderung – einschließlich biometrischer Datenbanken – auf Verzögerungen und Budgeterhöhungen gestoßen.
Internen Dokumenten zufolge, die The Guardian vorliegen, steht die Person Centric Data Platform (PCDP) im Mittelpunkt der jüngsten IT-Pannen bei der Einwanderung, die vielen britischen Einwanderern das Leben schwer gemacht haben. Die Datenbank speichert Datensätze von 177 Millionen Einwanderern für die Migrations- und Grenzschutzbehörde, einschließlich historischer Daten aus Altsystemen und aller neuen Daten aus Migrations- und Grenzschutzanträgen. Im Jahr 2023 unterzeichnete die britische Regierung einen Vierjahresvertrag über 23,1 Millionen Pfund mit Cognizant Technology Solutions UK Limited, um Software-Support für PCDP zu leisten.
Die fehlerhafte Datenbank hat jedoch seit langem das Problem, dass sie Identitätsdaten von verschiedenen Personen anzeigt, was zu Problemen für Einwanderer beim Grenzübertritt, bei der Arbeits- und Wohnungssuche geführt hat.
Das Innenministerium behauptet, dass nur etwa 0,02 Prozent der in der Datenbank erfassten Personen davon betroffen sind.
Das Fallbearbeitungssystem Atlas hingegen wurde geschaffen, um die fehleranfällige Datenbank zu betreiben. Die Umstellung auf Atlas, das die 24 Jahre alte Case Information Database (CID) ersetzen sollte, sollte 2021 abgeschlossen sein, aber der Prozess ist immer noch im Gange, wie ein Regierungsbericht vom Februar 2024 zeigt.
Die Minister haben bestritten, dass es ein “systemisches” Problem mit Atlas gibt. Die Regierung räumte jedoch ein, dass es im Sommer 2022 zu einer Reihe von nicht mit dem System zusammenhängenden IT-Störungen gekommen war. Im selben Jahr gab die Regierung 1,5 Millionen Pfund aus, um fast 50 Auftragnehmer zu beschäftigen, die Probleme aufgrund fehlender oder doppelter Dateneinträge in CID und Atlas manuell überprüfen und beheben sollten.
Die beiden Systeme werden durch das Programm Immigration Platform Technologies (IPT) gesteuert, das 2013 begann und ursprünglich 2017 abgeschlossen werden sollte. Zu den Hauptlieferanten des Projekts gehören laut The Register 6 Point 6, Atos, Deloitte Digital, HP, IBM, Mastek, NETbuilder, PA Consulting und Transform.
Im Jahr 2022 stufte die britische Behörde für Infrastruktur und Projekte das IPT-Projekt mit einem roten Farbcode ein und stellte fest, dass das Projekt nicht realisierbar zu sein scheint. Im Jahr 2023 wurde das Projekt jedoch auf gelb hochgestuft, was bedeutet, dass eine erfolgreiche Umsetzung möglich erscheint, aber noch erhebliche Probleme bestehen.
Neben PCDP und Atlas umfasst das IPT-Projekt auch Access UK, einen Online-Antragsdienst für alle Visa- und Einwanderungsdienste, und das Person Identity Product (PIP), einen einheitlichen Anbieter für alle personenbezogenen Daten.
Das Vereinigte Königreich hat weitere Investitionen in seine IT-Systeme für die Einwanderung getätigt, darunter 1,3 Milliarden Pfund (1,7 Milliarden Dollar) für eine Plattform für den Abgleich biometrischer Daten im Rahmen des Projekts Home Office Biometrics (HBO), das die biometrischen Datenbanken des Innenministeriums, der britischen Strafverfolgungsbehörden und der Strafjustiz zusammenführen soll. Eine der biometrischen Sammlungen, die in die Fusion einbezogen sind, ist das Immigration and Asylum Biometrics System (IABS), das dem Programm Immigration Platform Technologies (IPT) dient.
Im Rahmen des Biometrieprojekts des Innenministeriums hat IBM im vergangenen Jahr eine Ausschreibung über 84,4 Millionen US-Dollar für die so genannte Matcher Service Platform (MSP) gewonnen. Aber auch bei diesem Projekt kam es zu Verzögerungen, während die Kosten nach Einschätzung der Regierung gestiegen sind.
“Es gab Herausforderungen und Verzögerungen bei einem der wichtigsten Verträge und beim Laden von Daten in ein neues System. Eine Ausschreibung für einen neuen Anbieter war im Gange (There were challenges and delays with one of the key contracts, and with loading data into a new system. A procurement for a new supplier was underway,)”, schrieb der National Audit Service im Oktober 2023.
Die hier aufgeführten Informationen mögen auf den ersten Blick nicht relevant für den Einzelnen sein, aber das eigentliche Ziel all dieser “technischen Lösungen” im Bereich Einwanderungsbehörde, ist dass Großbritannien sich auf die Einführung eines Systems zur britischen elektronischen Reisegenehmigung (UK Electronic Travel Authorization, ETA) vorbereitet, die jährlich für 30 Millionen Reisende gelten soll und damit für eine weitere Zwangsdigitalisierung sorgt und als Vorbereitung für mögliche zukünftige Reisebeschränkungen zu deuten ist.
Diese Informationen zeigen aber auch eindeutig auf, dass zwischen Wollen und Realisieren eine gewaltige Kluft besteht (Inkompatibilität, Projektdauer, Nutzer, …), was wiederum die Chance eines Scheitern solcher Lösungen wahrscheinlicher macht.
Clearview: Teil des US-Verzeichnis für KI und digitale Technologien
Die Gesichtserkennung von Clearview AI wurde in ein Verzeichnis von KI– und digitalen Technologien aufgenommen, die für US-amerikanische Verteidigungsaufträge in Frage kommen.
Der Tradewinds Solutions Marketplace, der vom Chief Digital and Artificial Intelligence Office (CDAO) betrieben wird, ist eine Sammlung digitaler Tools, die die Anforderungen der Federal Acquisition Regulation (FAR), der Defense Federal Acquisition Regulation Supplement (DFARS) und anderer Richtlinien, die Verträge des Verteidigungsministeriums regeln, erfüllt haben.
Clearview hat jetzt den Status “Awardable” und ist über den sogenannten Marketplace des US-Kriegsministeriums erhältlich. Damit sind der Gesichtserkennungsalgorithmus und die Datenbank mit 40 Millionen Bildern, die von öffentlichen Webseiten im Internet stammen, für nationale Sicherheits- und Militäreinrichtungen sofort zugänglich.
In einem Video für Regierungskunden auf dem Tradewinds Solutions Marketplace wird ein Anwendungsfall aus der Praxis vorgestellt:
“Nationale Sicherheits- und Militäreinrichtungen erhalten sofortigen Zugang zu einer sicheren Gesichtserkennungs-Suchmaschine, die dabei helfen kann, unbekannte Personen zu identifizieren und die nationalen Sicherheitsbemühungen mit Hilfe von Open Source Intelligence (OSINT) zu verbessern (National Security and Military organizations will get immediate access to a secure facial recognition search engine that can help to identify unknown individuals and enhance national security efforts using Open Source Intelligence (OSINT))”, sagt Hoan Ton-That, Vorstandsvorsitzender von Clearview.
Ton-That nannte in einem kürzlich geführten Interview die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden und Bundesbehörden als Clearviews Marktschwerpunkt, und das Unternehmen begann mit einem Einsatz in der Ukraine (!) im Jahr 2022, Erfahrungen mit militärischen Anwendungen zu sammeln.
Clearview wurde außerdem in die Kohorte 2024 des nationalen Sicherheitstechnologieprogramms MissionLink aufgenommen, was nur auf expliziter Einladung durch die US-Behörden erfolgt.
Das Programm bringt Interessengruppen zusammen, um gemeinsam an Innovationen zum Schutz “wichtiger nationaler Sicherheitsgüter (critical national security assets)” zu arbeiten. Zu den Teilnehmern des Jahrgangs 2024 gehören auch die DARPA und 64 weitere Organisationen.
Auch hier wird eine vermeintliche Lösung (Clearviews Gesichtserkennung) für ein selbst geschaffenes bzw. gezielt aufgebautes Problem (Terrorismus) präsentiert, um den Menschen das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln (Reaktion), obwohl das eigentliche Ziel dahinter die (technischen) Ausweitungsmöglichkeiten von Kontrolle und Überwachung aller sind.
Quellen allgemeiner Teil:
Wo hat die „Dialektik“ ihren Ursprung?
Dialektik nach Hegel einfach erklärt
Hegels Philosophie – die Dialektik
Über den Ursprung der Hegelschen Dialektik
Wikipedia – Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Problem, Reaktion, Lösung
Quellen Großbritannien:
UK struggles with biometric border crossing software
ICO probes Home Office over immigration system woes
6 September 2022: Immigration Platform Technologies (IPT) Programme accounting officer assessment
Person Centric Data Platform (PCDP) Level 3 Support
Cognizant to apply generative AI to enhance drug discovery for pharmaceutical clients with NVIDIA BioNeMo
User Guide to: Immigration system statistics
IT issues with Home Office casework system have halved in recent months, immigration minister claims
UK immigration systems delayed by extra Ukraine visa work
Annual Report on Major Projects 2022-23
UK awards $84.4M biometric platform tender to IBM
9 March 2023: Home Office Biometrics (HOB) programme accounting officer assessment
Entrust granted UK Home Office selfie biometrics contract to streamline immigration
Quellen Clearview:
Webseite – Clearview
Your Marketplace for AI/ML, Digital and Data Analytics Solutions
Regulatory dust settles around Clearview, leaving one big facial recognition market
Webseite – MissionLink